Vertreter von Arbeitsagentur, IHK, WFG und Handwerk zogen Bilanz – Gründergeist ist weiter gefragt
Von Josef Barnekamp
Wirtschaftlich erfolgreiche Regionen leben auch davon, dass sich vor Ort genügend Menschen selbstständig machen, ein Unternehmen gründen, neue Arbeitsplätze schaffen und dafür sorgen, dass insgesamt „der Laden brummt.“ Insofern war die Wahl Oliver Golitschs als Gastgeber für das Pressegespräch zum kreisweiten Gründungsgeschehen 2021 am Dienstag logisch: Golitsch hat sich vor einigen Wochen mit seinem Fahrradhandel „Velodrom-Radsport“ in Ahaus-Ottenstein selbständig gemacht – und das noch keine Minute bereut. Die Begeisterung für den Radsport und der Wunsch nach Selbstverwirklichung, das waren zwei Gründe für den 43-Jährigen, die Anstellung bei Porsche mit der Selbstständigkeit im Ahauser Ortsteil zu tauschen. „Sie machen das, was wir uns von Gründern erhoffen“, lobte Dr. Daniel Schultewolter, Geschäftsführer der Wirtschaftsförderungsgesellschaft (WFG).
„Neben dem Mittelstand sind die Gründer eine weitere wichtige Säule der Wirtschaft“, betonte auch IHK-Regionalgeschäftsführer Sven Wolf. Seinen Angaben zufolge haben sich die Zahlen der Firmenneugründungen nach einem coronabedingten Rückgang 2020 im Vorjahr etwas erholt. So wurden 2021 NRW-weit 6,6 Prozent mehr Gewerbeanmeldungen gezählt. Kreisweit hingegen blieb die Zahl mit 2835 in etwa auf dem Stand des Jahres 2020. Rechne man nur die wirtschaftlich relevanten Neugründungen, so seien die Gründer-Zahlen im Kreis Borken im fünften Jahr in Folge gesunken – zuletzt um 13 Prozent auf rund 870.
Als positiv wertete Wolf, dass es im Kreis Borken fast keine Gründungen aus wirtschaftlicher Not heraus gebe. Die Konjunktur sei gut, die Jobaussichten für Fachkräfte prima. Zudem gebe es Anzeichen, dass die Zahlen auch wieder steigen würden.
Auch Ulrike Wegener, Leiterin der Gründungsberatung bei der WFG, betonte, dass nur ein knappes Drittel der bei der WFG Beratung suchenden Gründer zuvor ohne feste Beschäftigung gewesen sei. Rund 340 Beratungsgespräche und 166 Teilnehmer bei Info-Veranstaltungen hat Wegener für 2021 gezählt. Von 90 Bewerbern aus dem Kreis Borken um ein Gründerstipendium des Landes hätten 60 am Ende auch eins bekommen, sagte sie.
Auch Christoph Bruns, Hauptgeschäftsführer der Kreishandwerkerschaft, nannte Golitschs Start in die Selbstständigkeit ein „Beispiel für eine wünschenswerte Gründung.“ Mit Blick aufs Handwerk sagte Bruns, man „bräuchte mehr Neigung“ zur Selbstständigkeit. Mit 418 Gründungen im Vorjahr habe es rund 35 weniger gegeben als im Jahr zuvor. In dieser Hinsicht hole das Vest, also die Region Recklinghausen/Gelsenkirchen/Bottrop „gewaltig auf“, wie Bruns sagte. Auch wünschte er sich mehr Betriebsübernahmen im Handwerk. Ganze sieben habe er im Vorjahr kreisweit gezählt. „Diese Zahl ist viel zu niedrig“, so Bruns. Gleichwohl bleibe das Handwerk im Kreis mit rund 5500 Betrieben, etwa 45.000 Beschäftigten und rund sieben Milliarden Euro Umsatz ein wichtiger Wirtschaftsbereich, betonte der Hauptgeschäftsführer. Das werde auch von der Zahl von gerade einmal acht Handwerksinsolvenzen im Vorjahr unterstrichen.
Für die Arbeitsagentur Coesfeld betonte Karin Hartmann, dass kreisweit deutlich weniger Unternehmensgründer als früher einen Gründungszuschuss vom Staat in Anspruch nähmen. Seien das 2010/2011 noch jeweils mehr als 500 gewesen, so sind es zuletzt nur rund 50 gewesen. Auffallend sei aber, dass die Zahl der Unternehmensgründungen von Frauen geradezu „in den Keller gegangen“ sei. Zugenommen habe hingegen die Zahl neuer Unternehmen, die im Nebenerwerb gegründet wurden.
Zeigten sich beim Pressegespräch angetan vom Gründergeist Oliver Golitschs (Velodrom Fahrradhandel, 3.v.r.). Von links: Ulrike Wegener und Dr. Daniel Schultewolter (beide WFG), Christoph Bruns (Kreishandwerkerschaft), Karin Hartmann (Arbeitsagentur) und Sven Wolf, IHK-Regionalgeschäftsführer).