Predictive Maintenance – Nur datenbasiert?
Erhöhung der Akzeptanz von Prognosesystemen durch die Einbeziehung langjähriger Erfahrungen von Anlagenbedienern und Instandhaltern
Autor:
Dr.-Ing. Frank Ryll
Fraunhofer-Institut für Fabrikbetrieb und –automatisierung IFF, Magdeburg
Eine vorausschauende Instandhaltungsstrategie hat das Potenzial, über das rechtzeitige Erkennen potenzieller – technisch bedingter – Störungen, ungeplante Produktionsstillstände aktiv durch Maßnahmen des Betriebs und der Instandhaltung zu verhindern. Darüber hinaus lassen sich, sollten Störungen dennoch auftreten, deren Auswirkungen auf die Wertschöpfungskette von Unternehmen reduzieren. Diese Strategie schafft die Voraussetzungen zur Realisierung einer instandhaltungsfreien Fabrik. In dieser weisen alle technischen Anlagen eine vollständige Verfügbarkeit im Nutzungszeitraum auf. Ein weiteres Merkmal ist eine hohe Resilienz, d.h. Störungseinflüsse von außen und innen haben keinerlei Auswirkungen auf die Funktionserfüllung. Im Ergebnis könnten so sämtliche „klassischen“ Instandhaltungsmaßnahmen entweder komplett entfallen bzw. die Kompetenzen und die Arbeitsorganisation der Instandhaltung neu in Richtung Anlagenüberwachung und Verbesserung ausgerichtet werden. Um diese Vision umzusetzen, bedarf es noch umfangreicher Forschungsarbeiten.
Gegenwärtig fokussiert sich die Forschung auf die Entwicklung von Methoden und Werkzeugen, um beispielsweise mittels Künstlicher Intelligenz bzw. Methoden des Maschinellen Lernens das Betriebs- und Ausfallverhalten komplexer technischer Systeme besser beschreiben zu können. Diese Werkzeuge sind bereits sehr leistungsfähig und liefern, wenn sie mit ausreichend vorhandenen und qualitativ hochwertigen Daten trainiert und validiert werden, sehr gute Ergebnisse bezogen auf die Zielstellung Erkennung potenzieller Störungen.
Allerdings liegt genau darin ein großes Problem. Es werden qualitativ hochwertige Trainings- und Validierungsdaten in ausreichender Menge aus der Betriebs- und Ausfallhistorie einer Anlage benötigt. Die einzelnen Datenquellen müssen gesichtet, ggf. bereinigt werden. Unterschiedliche Datenquellen müssen synchronisiert werden. Darüber hinaus müssen Daten im Zusammenhang von Störungsereignissen vorhanden sein. Bestimmte Ausfälle treten nur sehr selten auf oder es ändern sich in flexiblen Produktionssystemen ständig die Betriebsparameter. Modelle des Maschinellen Lernens basieren im Grunde immer darauf, dass Zusammenhänge zwischen Eingangs- und Ausgangsgrößen (hier z.B. Störungsereignisse) zunächst gelernt und dann mit aktuellen Daten angewendet, wiedererkannt werden. Erfahrungen aus eigenen Projekten zeigen, dass in die Erfassung, Bereitstellung sowie Aufbereitung von Daten die meisten, d.h. über 75%, der Aufwände bei Projekten zu ML-basierten Vorhersagemodellen fließen. Ein Weg um dieses Problem zu lösen ist, sich auf eine Anomalieerkennung zu konzentrieren, d.h. jede Abweichung vom Normal- oder Gutbetrieb zunächst zu registrieren und anschließend eine Bewertung vorzunehmen. Daten von Normalbetrieb liegen meist in ausreichender Zahl vor.
Doch was ist zu tun, wenn keine ausreichenden oder verwertbaren Datenbestände vorliegen, sind dann ML-basierte Ansätze komplett aussichtslos? Nein!
Es existiert in jedem Unternehmen ein wertvoller Datenbestand in Form des Wissens und den Erfahrungen von Mitarbeitenden aus den Bereichen Produktion und Instandhaltung. Leider wird dieses Wissen noch unzureichend für Predictive Maintenance genutzt. Es bietet das Potenzial, fehlende Daten durch Erfahrungswissen der Bedienenden, Instandhaltenden oder Servicetechniker des Herstellers zu ersetzen. Voraussetzung dafür ist eine Formalisierung des Erfahrungswissens in eine maschinell verarbeitbare Form. Das kann beispielsweise mittels einer Fuzzy-Logik erfolgen. Hierbei werden komplexe Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge mittels linguistischen Fuzzy-Variablen und verbalen Regeln beschrieben.
Das Beispiel in der nachfolgenden Abbildung beschreibt vereinfacht die Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge, um die Beanspruchung der Lagerungen eines Elektromotors und damit die Aufzehrung des Abnutzungsvorrates zu abzubilden. Eingangsgrößen sind hier vereinfacht die Wicklungstemperatur des Motors und die Drehzahl. Verknüpft über zwei Regeln, die sich aus Erfahrungswissen von Servicetechnikern ergeben, dass hohe Wicklungstemperaturen und geringe Drehzahlen recht kurzfristig zum Versagen der Schmierstoffe und damit zum Versagen der Motorlagerung führen. Für das Beispiel in der Abbildung wird für die angegebenen Werte für Temperatur und Drehzahl eine deutliche Überbeanspruchung ermittelt.
Abbildung 1: Beispiel für die Abbildung von Erfahrungswissen mittels einer Fuzzy-Logik
Diese Methode lässt sich separat anwenden, wenn nur unzureichende Datenbestände vorhanden sind. Eine weitere Anwendung ist die Ergänzung vorhandener ML-Modelle um zusätzliche Eingangsgrößen. Hierbei fungiert dieses regelbasierte Fuzzy-System wie ein zusätzlicher virtueller Sensor und damit Eingangswert für das Training und die Validierung von ML-Modellen.
Ein weiterer Vorteil der Nutzung von Erfahrungswissen liegt in der Erklärbarkeit von Bewertungsergebnissen und damit einer hohen Akzeptanz bei potenziellen Anwendern, da ja auf ihren eigenen Erfahrungen beruhen. Ein Nebeneffekt bei der Anwendung ist, dass Erfahrungswissen dauerhaft für das Unternehmen gesichert wird, da es nicht mehr an die Anwesenheit bestimmter Personen gekoppelt ist.
Am Fraunhofer IFF wurden umfangreiche Erfahrungen mit der Anwendung dieser Methode in Kombination mit ML-Methoden gesammelt. Im Ergebnis konnte die Qualität der Vorhersage potenzieller Störungen deutlich gesteigert werden.
Wir freuen uns auf einen regen Austausch und stehen gern für Rückfragen zur Verfügung.
Dr.-Ing. Frank Ryll