Künstliche Intelligenz trifft Werkzeugmaschine
Autorinnen:
Dr. Vanessa Müller
Sonja Kruse
Künstliche Intelligenz (KI) schafft heute schon konkreten Mehrwert für den industriellen Mittelstand. Den Zugang zu KI können Unternehmen finden, wenn sie die ersten Schritte in einem kollaborativen Prozess mit Datenexperten wagen. Mit gebündelter Expertise können vielfältig gelagerte Anwendungsfälle ausfindig gemacht und erfolgreich umgesetzt werden.
Abb. 1: Schematische Darstellung einer Werkzeugmaschine, Quelle: Schwäbische Werkzeugmaschinen
Vor fünf Jahren schlossen die Point 8 GmbH, ein Dienstleister für maßgeschneiderte KI-Lösungen aus Dortmund, und die Schwäbische Werkzeugmaschinen GmbH (SW), ein mittelständischer, expandierender Hersteller von international erfolgreich eingesetzten Fertigungssystemen, eine Partnerschaft, die seither beide Seiten stärkt und vorantreibt. SW ist bereits seit 2003 im Bereich der Digitalisierung aktiv und wollte nun die klassische Datenauswertung einen weiteren Schritt nach vorn bringen. Damit stand das Unternehmen, wie viele andere deutsche Mittelständler, vor der großen Herausforderung: Wie können vorhandene Daten für KI-basierte Lösungen genutzt werden? Anwendungsfälle gibt es genug – aber wie mit der konkreten Umsetzung starten? Hier kamen die KI-Expertinnen und -Experten aus Dortmund ins Spiel.
Auch wenn es naheliegend erschien, direkt auf die Suche nach der passenden KI-Lösung für konkrete Anwendungsfälle zu gehen, gehörte der Griff nach dem KI-Zauberkasten nicht zu den ersten Schritten der gemeinsamen Arbeit und auch später wurde auf Magie verzichtet. Stattdessen musste zunächst eine viel grundlegendere Basis geschaffen werden. Denn wie sich herausstellte, war der entscheidende und wichtigste Erfolgsfaktor für die gemeinsame Umsetzung von KI-Projekten nicht etwa die richtige Software für künstliche Intelligenz, Cloud-Infrastruktur oder andere technische Dinge, sondern der Aufbau einer gemeinsamen Ebene zwischen zwei völlig verschiedenen Welten.
Kommunikation ist der Schlüssel
Anfängliche Verständnisprobleme zwischen den Data Scientists von Point 8 auf der einen und den Ingenieurinnen und Ingenieuren von SW auf der anderen Seite wurden schnell erkannt und als Chance begriffen. Durch intensive Zusammenarbeit und offene Kommunikation der jeweiligen Fachgebiete verstehen die Data Scientists inzwischen ein gutes Stück von Werkzeugmaschinen und die Ingenieurinnen und Ingenieure haben Einblick in Data Science und KI-Methoden erhalten. Die konkreten Anwendungsfälle werden so Hand in Hand und ohne Schwierigkeiten angegangen.
Predictive Maintenance
Der erste gemeinsam erarbeitete Anwendungsfall für KI bei Werkzeugmaschinen drehte sich um Predictive Maintenance (vorausschauende Wartung). Bei Werkzeugmaschinen gibt es viele verschiedene Komponenten, die mit der Zeit verschleißen, deren Austausch oftmals kompliziert ist und deren Zustand die Qualität der produzierten Teile deutlich beeinflussen kann. Bei Predictive Maintenance soll auf Basis des Verschleißgrads bestimmter Teile der Ausfallzeitpunkt hinreichend prognostiziert und ein Austausch nur bei Bedarf vorgenommen werden. Ein klarer Vorteil für den Werkzeugmaschinenhersteller und Maschinenbetreiber: Wird der anstehende Ausfall oder Verschleiß von Komponenten mittels KI erkannt, kann der Service die Daten gezielt zur Hilfe beim Kunden heranziehen. Daraus resultierend werden sowohl Stillstandszeiten als auch Kosten deutlich reduziert.
Die Herausforderung bestand bei diesem Anwendungsfall insbesondere darin, aus einer Vielzahl von Mess- und Einflussgrößen ohne offensichtlich erkennbare Muster eine geeignete Datenbasis zu schaffen. Erfolgsentscheidend war der intensive fachliche Austausch der Expertinnen und Experten über die Funktion der Maschinen und die zielführende Auswertung der zugehörigen Daten. Folglich konnten die richtigen physikalischen Eingangswerte ausgewählt, abgeleitete Messgrößen definiert sowie Betriebszustände analysiert werden. Aufgrund dieser Datenbereinigung standen für KI-Verfahren bessere Eingangsgrößen zur Verfügung und es wurde ein KI-Modell entwickelt, welches den einsetzenden Verschleiß von Komponenten vorausschauend erkennen kann.
Abb.2: Schaubild zur Identifikation von kausalen Verkettungen von Alarmen, Quelle: Point 8
Apriori-Algorithmus zur Alarmanalyse
Bei einem weiteren KI-Projekt ging es um die Auswertung von Alarmen und Betriebsmeldungen der Maschinen. Eine Werkzeugmaschine kann sehr viele verschiedene Meldungen und Alarme generieren. Dabei treten diese nacheinander in Abfolgen auf. Für deren Interpretation ist es entscheidend, Alarme oder Meldungen nicht gesondert, sondern im Kontext zueinander bzw. zur gesamten Maschine zu betrachten. Am Anfang einer solchen Kette steht ein sogenannter Primäralarm, der letztendlich auch einen Stillstand der Maschine hervorrufen kann.
Für diesen Anwendungsfall wurden die Konzepte eines bestehenden Algorithmus’ (Agrawal, 1996) übernommen. Dieser Algorithmus wird häufig bei der so genannten Warenkorbanalyse im Einzelhandel angewandt, musste jedoch für dieses Projekt um zeitliche Abfolgen von Alarmen und Meldungen erweitert werden. Mit dem daraus entwickelten KI-Assistenzsystem konnte gezeigt werden, welche Meldesequenzen oft zusammen auftreten und welche Primäralarme häufig zu größeren Problemen führen. Das erlaubt anhand der sich aufbauenden Alarmkette schon vor dem Eintreten des Primäralarms einzugreifen und einen Ausfall abzuwenden.
Die genannten Szenarien aus der Zusammenarbeit von Point 8 und den Schwäbischen Werkzeugmaschinen zeigen, wie KI heute schon konkreten Mehrwert für den industriellen Mittelstand schafft. Sie stehen beispielhaft für eine Vielzahl möglicher Lösungen. Mit gebündelter Expertise, Kreativität und Erfahrungswerten aus anderen Projekten können bei weiteren Unternehmen völlig anders gelagerte Anwendungsfälle ausfindig gemacht und umgesetzt werden. Ein essenzieller Aspekt dabei ist die Kommunikation – man muss lernen, eine gemeinsame Sprache zu sprechen. Um einen Zugang zum Thema KI zu finden zählt letztlich, die ersten Schritte zu wagen und zu starten. Denn die Methoden der Künstlichen Intelligenz werden dann mächtig, wenn es mit Erkenntnisgewinnung und -austausch der beteiligten Fachleute einhergeht.
Dr. Vanessa Müller
Sonja Kruse